Tür an Tür - Sommer 2024

9 Titelstory Foto: Uwe Schinkel Ankommen und sich zurechtfinden. Unterhält man sich mit Yurii Polishchuk, spürt man schnell, dass er trotz allem, was seiner Familie und ihm widerfahren ist, den Mut nicht verloren hat. Mit ruhiger Stimme und gesenktem Blick berichtet der 70-Jährige von den Geschehnissen der letzten Jahre, vom Weg, der ihn und seine Frau vom Schwarzen Meer nach Wuppertal geführt hat. Spricht er über die Zeit vor dem Krieg und seine Erfahrungen in Deutschland, richtet er sich auf, sucht den Blickkontakt – gelegentlich huscht sogar ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht. Mit seiner Vergangenheit beim Militär und als langjähriger Inhaber einer Autowerkstatt hat Yurii einiges erlebt und ist viel rumgekommen. Und so ist es nicht überraschend, dass er sich auch im neuen Leben ganz gut zurechtfindet. Seiner Frau Olena Pimenova fällt die Eingewöhnung ungleich schwerer. Im Gespräch wirkt die 60-Jährige oft in Gedanken. Es ist, als könne man ihr die Last ansehen, die auf ihrem Gemüt liegt. Dabei strahlt sie jedoch eine große Herzlichkeit und Wärme aus. Lächelnd erkundigt sie sich nach dem Befinden ihrer Gäste, bietet wiederholt Knabbereien und Getränke an. Gelingt es, sie zum Lachen zu bringen, scheint sich der ganze Raum aufzuhellen. Die Heimat fehlt. Wird zum Thema, was vor zwei Jahren begann und darauf folgte, füllen sich Olenas Augen mit Tränen. Zu tief sitzt der Schmerz über das, was geschah und was sie zurücklassen mussten. Olenas und Yuriis Heimat ist die Stadt Mykolajiw, etwa 100 km entfernt von der Hafenstadt Cherson. Als am 24. Februar 2022 der russische Angriffskrieg begann, traf es den unweit ihres Hauses gelegenen Flughafen zuerst. Es war, als würde alles um sie herum explodieren, berichtet Yurii. Das Erlebte zu beschreiben, fällt auch ihm schwer. Trotz nahezu täglicher Bombenangriffe und unbeschreiblicher Angst harrten die beiden noch gut sechs Monate in ihrem Haus aus. Fenster und Türen waren da längst durch die ständigen Erschütterungen zerstört. Erst Ende August 2022 brachen sie schließlich doch auf in eine ihnen unbekannte Zukunft. Ein langer Weg. Mit Unterstützung freiwilliger Helfer gelangten sie zunächst nach Moldawien. Von dort aus ging es weiter nach Bukarest, dann nach Budapest, München – bis sie schließlich Wuppertal erreichten. Bekannte, welche schon länger in Deutschland leben, hatten ihnen bei der Wahl des Ziels geholfen. Überhaupt hält die ukrainische Gemeinschaft der Geflüchteten engen Austausch. Weitestgehend über Chatgruppen miteinander verbunden, unterstützt man einander, gibt sich wertvolle Tipps zur Eingewöhnung in Deutschland. So erfuhren Olena und Yurii schließlich von der Möglichkeit, bei der gwg auf einen russischsprachigen Kontakt zu treffen. Mit dessen Hilfe ging es dann auch ganz schnell: Im Nu war eine teilmöblierte gwg-Wohnung in Elberfeld gefunden, in der die beiden seit Oktober 2022 leben. Ihr Zuhause kann diese natürlich nicht ersetzen, und doch fühlen sie sich hier sehr wohl. Von hier aus startet Yurii seine Ausflüge in die Stadt und durch ganz NRW. Olena drückt währenddessen die Schulbank: wochentäglich besucht sie die Integrationsschule, um dort die deutsche Sprache zu lernen. Aufgrund seines Rentenalters gibt es diese Förderung für Yurii nicht; so lernt er eben von Olena und auf seinen Ausflügen. Die Hoffnung lebt. Ob und wann die beiden nach Mykolajiw zurückkehren können, steht in den Sternen. Auch heute wird die Region täglich von Angriffen erschüttert, noch immer sterben dort täglich Menschen. Zu ihrer Heimat halten sie weiter engen Kontakt, vor allem durch tägliche Videocalls mit ihrer gemeinsamen Tochter, die mit ihrem Sohn in Odessa lebt. Darauf angesprochen, weist Yurii auf zwei prächtige Modellautos, die prominent die Schrankwand zieren. Diese hat er in Wuppertal auf einem Flohmarkt entdeckt und für seinen Enkel erstanden. Man merkt ihm an, wie sehr er sich auf den Moment freut, diesem die Autos eines hoffentlich nicht so fernen Tages persönlich schenken zu können. Olena und Yurii. Ця стаття доступна онлайн, зокрема й українською мовою.

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